
Ich bin in einem Ort im Rheinland aufgewachsen, der direkt an einem Braunkohle-Tagebau lag. Diesen Tagebau gibt es heute nicht mehr, er wurde von RWE (damals noch Rheinbraun) „rekultiviert“. Das war für mich vollkommen selbstverständlich. Als Kind habe ich oft am Rand oder sogar im Tagebau gespielt. Später als Jugendlicher und junger Mann hat mich zwar oft genervt, dass alle paar Wochen alles (mein Auto ;)) im Ort mit einer dünnen Sandschicht bedeckt war, je nach dem wie der Wind stand (ähnlich dem Saharasand-Ereignis der letzten Wochen), aber ich habe auch (private) Raves auf Aussichtpunkten oder in den Geisterdörfern besucht. Und natürlich Bagger-Seen. War halt irgendwie eine coole Location. Als technikbegeisterter Mensch habe ich auch die Ingenieursleistung bewundert, die so riesige Maschinen ermöglicht hat. Damals war Umwelt- und Klimaschutz einfach noch nicht so prominent, wie heute. Vor allem nicht bei ganz jungen Menschen.

Man muss aber auch sagen, dass, Rheinbraun, heute RWE, das ganz clever gemacht hat. Dieser Konzern war und ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Umgebung. Die meisten in dem Ort und vermutlich in der ganzen Umgebung kannten einen oder mehrere Personen, die dort arbeiten. Der Konzern hat Vereine unterstützt und sich anderweitig in die Herzen der Menschen eingekauft. Das waren nie große Beträge, so ein Konzern bezahlt das aus der Kaffeekasse, aber es bleibt in den Köpfen hängen. Hinzu kommt, dass sich der Konzern führende Politiker gekauft hat bzw. das sind hauptberuflich eher Lobbyisten, und nur im Nebenberuf Politiker. Wie z.B. Gregor Golland (CDU), der sich nicht mal die Mühe macht eine glaubwürdige Ausrede auszudenken, sondern allen anderen auch vorwirft einfach nur faul zu sein (Bis zu 120.000 Euro im Jahr für Halbtagsjob bei RWE: „Ich arbeite einfach mehr als der Normalverdiener“. Oder NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der die Polizei als Privatarmee RWE zur Verfügung gestellt hat.

Damals, als ich noch ein junger Mann war, dachte ich mir auch nichts bei den Umsiedlungen. Denn so ein Tagebau benötigt sehr viel Platz. Und das Loch bleibt nicht an Ort und Stelle, es wandert und verschlingt ganze Landstriche inkl. allem, was oben drauf ist, also auch Ortschaften. Die Menschen, die dort lebten, müssen (ja müssen) ihre Häuser und ihr Land verkaufen und dürfen an einer ausgewiesenen Stelle neu bauen. Wenn man nicht weiter darüber nachdenkt, hört sich das erst mal toll an. Man tauscht quasi ein altes Haus gegen ein Neues. So entstanden Retorten-Ortschaften, wie z.B. Manheim-neu. So einfach ist es aber leider nicht.


Natürlich gibt es Menschen, die von diesen Umsiedlungen profitiert haben. Es ist aber ein Trugschluss, dass man Ortschaften einfach 1:1 verpflanzen kann. Sie lebten in Häusern, die schon seit Generationen im Familienbesitz sind. Sie wurden dort geboren, sind dort aufgewachsen, usw. Solche Sachen kann man nicht einfach kopieren. Diese Menschen haben sich gewehrt, wurden aber letztendlich aus ihrer Heimat vertrieben. Gegen einen übermächtigen Konzern und eine gekaufte Politik kommt man schwer an. Daher muss ich immer schmunzeln, wenn ich die Ausreden von Berliner Politikern zum Thema Deutsche Wohnen & Co. enteignen lese. Kommunismus und so. Hier bei uns werden Menschen seit Jahrzehnten enteignet, vertrieben und ihre Heimat wird nachhaltig zerstört. Die gleichen Parteien, die Enteignung in Berlin für den Untergang des Abendlandes halten, zucken hier nicht mal mit der Wimper. Offensichtlich hängt die Machbarkeit einer Enteignung davon ab, wer davon profitiert.

Vor kurzem hat das OVG Münster entschieden, dass der letzte Hof in Lützerath, einem ehemaligen Dorf im Rheinland geräumt und vernichtet werden darf. Der Inhaber hat sich jahrelang dagegen gewehrt, hatte aber letztendlich keine Chance. Mit ihm haben viele Menschen demonstriert und versuchen die Zerstörung abzuwenden. Dazu wurde ein Camp auf dem Hof errichtet, auf dem nicht nur Klimaaktivisten untergekommen sind. Nach dem Urteil gab es letztes Wochenende ein Frühlingsfest und ich habe das Camp besucht.

Heute trennen den Hof und die Abbruchkante nur ca. 200 Meter. Dazwischen ist eine Art Grenzland. Ein Erdwall neben der Straße bildet die Demarkationslinie. Dazwischen patroulliert ein Sicherheitsdienst mit zahlreichen Geländefahrzeugen. Und die Jungs in diesen Autos sind an diesem Tag ziemlich nervös gewesen. Man fühlt sich, wie an der ehemaligen Deutsch-Deutschen-Grenze. Nur dass auf der anderen Seite kein Land ist, sondern ein gigantischer von Menschen geschaffener Krater, der sich durch die Landschaft fräst und unaufhaltsam näher kommt.

So hatte ich die Gelegenheit mir das Camp anzuschauen und mit den Menschen zu sprechen, die ihr Leben dafür opfern sich diesem Wahnsinn entgegenzustellen. So ein Camp sieht natürlich sehr provisorisch aus. Hinter Klimaprotesten steht kein multimilliarden-schwerer Konzern oder ein Staat dahinter. Die Menschen nutzen Kreativität und Dinge die sie finden oder gespendet bekommen, um ihre Unterkünfte und andere Gebäude zu bauen. Ich war wirklich beeindruckt davon, was man alles aus Dingen, die ich als Sperrmüll bezeichnen würde, so erschaffen kann. Häuser, Baumhäuser, Toiletten, Werkstätten, Cafés, Versammlungsorte, Bühnen, usw. nur um einige zu nennen. Eine ehemals landwirtschaftlich genutzte Halle ist jetzt sogar eine Skate-Halle.














Das Frühlingsfest war ein schönes Event für die ganze Familie. Für die Kleinen gab es Märchenstunden, Kasperletheater, Kinderschminken, Kletterkurse. Für alle gab es dann noch Kunsthandwerk, Schweißen für Anfänger und eine Pflanzaktion. Es wurde auch symbolisch ein großes gelbes Kreuz aufgestellt. Ich habe an einem geführten Rundgang teilgenommen, der sehr informativ war. Es wurde erklärt, wie das alles zustande gekommen ist und das Lützerath früher mal größer war. Neben dem Hof ist jetzt eine Brache, doch früher standen hier andere Häuser und Höfe. RWE hatte diese schon eingesackt und direkt mit viel Getöse und Staub über Tage abreißen lassen, ohne die Urteile der Gerichte abzuwarten. So hat man Tatsachen geschaffen und die Übrigen unter Druck gesetzt. Legale Mafia-Methoden sind einfach, wenn man die Politik auf der Gehaltsliste hat.


Steht man an dieser Demarkationslinie, wundert man sich über die Dummheit und die Gier des Menschen. Es ist nicht nur eine geografische Grenze. In dieser Gegend gibt es sehr fruchtbaren und preisgekrönten (kein Witz!) Lössboden. Unsere Kornkammer. In Zeiten, in denen die Lebensmittelpreise steigen, weil wir von anderen Ländern abhängig sind, solchen Boden und die Hersteller von Qualitäts-Lebensmitteln einfach zu vernichten, ist dämlich. Aber dabei bleibt es nicht. Wir holen CO₂ (das Treibhausgas Kohlendioxid) aus der Erde und pusten es in die Atmosphäre, was diese wiederum erwärmt. Diese Grenze markiert auch die 1,5 Grad-Grenze, also unser selbst gesteckten Ziel, um den Klimawandel zumindest abzumildern. Da wir schon bei 1,2 Grad sind, wird beim Überschreiten dieser Grenze unser Ziel definitiv gerissen. Mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Statt das Geld dort zu versenken sollten wir es jetzt in die Hand nehmen, um massiv und umfassend erneuerbare Energien zu fördern. Seit dem Ukraine-Krieg sind die Energiepreise aus konventionellen Quellen in die Höhe geschnellt. Diesen Schwankungen und diesen Abhängigkeiten unterliegt Strom aus erneuerbaren Quellen nicht. Es gibt in der Herstellung keinen billigeren Strom als Solarstrom. Ja, es sind noch einige Probleme, die man lösen muss. Aber ich bin mir sicher mit den entsprechenden finanziellen Möglichkeiten wird man Lösungen finden. Schließlich hat man es ja auch geschafft riesige Maschinen zu bauen, die solche Löcher erzeugen können. Wir dürfen das nicht länger auf die lange Bank schieben, denn die Folgen des Klimawandels sind auch bei uns schon deutlich spürbar. hier im Blog findest Du meine Berichte zur Flutkatastrophe 2021.


Auch wenn das Schicksal von Lützerath besiegelt zu sein scheint, viele Menschen dort haben vor weiter zu kämpfen. Denn es ist eine existenzielle Frage. Irgendwann wird es hier keine Kohle mehr geben und RWE wird weiter ziehen. Die Schäden aber werden bleiben und wir werden alle darunter leiden.

Ach ja, wenn jemand sehen möchte, was RWE unter Rekultivierung versteht oder wie groß diese Bagger wirklich sind, ich habe schon 2016 einige Bilder von einem ehemaligen Tagebau gemacht. Loch zugeschüttet, ein paar Monokulturen drauf, fertig. Das hat meiner Meinung nach wenig mit Natur oder Kulturlandschaft zu tun.
Hi Darius, ein ganz wunderbarer Text, der zusammem mit den Fotos die Situation vor Ort auch Menschen erklärt, die ganz woanders wohnen. Super (und so viel Arbeit…)
Sabine
Danke. Geht eigentlich, das meiste hatte ich schon vor Ort im Kopf. Musste es im Prinzip nur noch runter schreiben.
Ja, das ist immer schwierig das Menschen zu erklären, die so was noch nie gesehen haben. Die Dimensionen sind schwer zu fassen.
Bericht ganz gut, Bilder sehr schön.
Allerdings sind da ein paar nicht richtige Untertitel:
Nicht nur die Mahnwache hat das gelbe Kreuz aufgerichtet, sondern auch Menschen von „Die Kirche(n) im Dorf lassen“
Echardt Heukamps Hof ist nicht von aktivisti bewohnt.
Irrtümlich ezeigt wird von Ihnen das gelbgestrichene Haus mit dem Vogel nebenan.
Eckardts Heukamps Hof ist der, an dem das große gelbe Transparent hängt: 1,5 °C heißt: Lützerath bleibt!
Danke für die Hinweise, ich bin das erste Mal dort gewesen und habe es wiedergegeben, wie ich es verstanden habe.