Mastodon ist kein Twitter-Ersatz

Mastodon ist kein Twitter-Ersatz

Mastodon ist kein Twitter-Ersatz

Als ich angefangen habe mich mit Twitter zu beschäftigen und es gelegentlich auch zu nutzen, habe ich es nicht wirklich verstanden. Und bis heute gibt es dort Funktionen, die ich nicht verstehe und/oder nicht nutze. Was ist eine Timeline? Was ist eine Liste? Was ist ein Tweet? Was ist ein Retweet? Was ist eine Direktnachricht? Wer kann lesen, was ich schreibe? Diese und viele andere Fragen hatte ich anfangs. Mit der Zeit lernt man immer wieder dazu und irgendwann ist man einfach daran gewöhnt. Die Begriffe gehen sogar in den täglichen Sprachgebrauch über.

Nun kündigt Twitter wieder mal Änderungen und Restriktionen an, die vielen Benutzern nicht gefallen. Es gibt Entrüstungswellen, viele schimpfen, fügen sich am Ende aber doch. Und das nicht zum ersten Mal. Es gibt aber auch einige, die über den Tellerrand schauen und dort auf Mastodon treffen. Hey, ein Dienst, der wie Twitter ist, nur ohne diese blöden Änderungen. Und da fängt das Dilemma schon an, denn diese Annahme halte ich für falsch. Ja, es ist ein Microblogging-Dienst, der oberflächlich wie Twitter vor einigen Jahren wirkt. Unter der Haube steckt aber eine komplett andere Philosophie. Für die Nutzung von Mastodon ist es hilfreich diese Philosophie zu verstehen. Keine Angst, es ist überhaupt nicht so kompliziert, wie man anfangs vermutet.

Twitter (zentralisiert)

Twitter (zentralisiert)

Twitter ist ein Dienst, der von einer amerikanischen Firma kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Jeder kann sich dort anmelden, sich vernetzen und selbst Beiträge verfassen. Klingt zunächst mal gut, bis man sich die Frage stellt, wie ein gewinnorientiertes Unternehmen daraus Kapital schlagen kann, wenn die Nutzung des Dienstes doch kostenlos ist. Im Prinzip ist es ganz einfach. Zum einen werden deine Daten einfach verkauft, Du weißt aber nicht an wen und was genau. Zum anderen schaltet Twitter direkt Werbung lässt aber auch Werbetreibende quasi als „normale“ Nutzer agieren, deren Beiträge Werbung sind. Das bedeutet, je mehr man auf Twitter liest und schreibt, desto mehr Gewinn macht Twitter. Also wird Twitter versuchen dich so lange wie möglich auf seiner Seite oder in seiner App zu halten. Dafür gibt es einige technische Maßnahmen, wie z.B. die Abschaffung der chronologischen Timeline und das Einführen einer „smarten“ Timeline. Kurze gesagt entscheidet ein Stück Software, oder besser gesagt der Ersteller dieser Software, was Du sehen sollst und nicht mehr Du selbst. Wie diese Software genau funktioniert, weiß nur Twitter selbst. So können Beiträge angezeigt werden, die dich vielleicht besonders interessieren, es können aber auch einfach finanzierte Beiträge sein, für deren Ranking Twitter einfach Geld bekommt. Das kann Werbung sein, aber ebenso z.B. politische Parolen oder gar Fake News.

Mastodon (dezentralisiert)

Mastodon (dezentralisiert)

Aber wie läuft das bei Mastodon? Das kann doch schließlich auch jeder auch kostenlos nutzen. Vom Prinzip her funktioniert das ähnlich, wie E-Mail. Es gibt kein Unternehmen, dass E-Mail heißt, oder über das alle E-Mails versendet werden müssen, damit sie beim Empfänger ankommen. Es gibt zwar Email-Provider, also Anbieter von Email-Diensten (GMX, Web.de, GMail, usw.), aber im Prinzip kann jeder von uns zum Email-Provider werden. Dazu muss man „nur“ einen Email-Server betreiben, der mit anderen Email-Servern kommunizieren kann. Natürlich ist das fast jedem Email-Nutzer zu aufwändig, also nutzt man einen bestehenden Dienst. Das Besondere ist eben, dass es keine führende und bestimmende Stelle gibt. Email funktioniert also dezentral. Einer der Vorteile ist, dass wenn ein Email-Provider ausfällt, also z.B. GMX, sich Nutzer von Web.de und GMail trotzdem weiterhin Emails schicken können. Bei Mastodon nennen sich diese Provider „Instanzen“. Zugegeben, ein etwas technischer Name, aber der Name ist eigentlich unwichtig. Diese Instanz ist wieder einfach nur ein Stück Software, der irgendwo von jemandem betrieben wird. An dieser Instanz kann man sich registrieren (wie bei Twitter auch) und ist dann dort Mitglied. Man kann dort, wie bei Twitter auch, Beiträge verfassen und sich mit anderen Nutzern vernetzen. Es funktioniert also sehr ähnlich, wie Twitter. Natürlich gibt es aber auch einige Unterschiede. Einer der größten und auffälligsten Unterschiede ist, dass es drei Timelines gibt. Was?!? Drei?!? Ja, aber wenn man es mal verstanden hat, macht es durchaus viel Sinn und ist sogar ein großer Vorteil. In der ersten Timeline sehe ich nur die Beiträge der Nutzer, denen man selbst folgt. Das entspricht im Prinzip der Twitter-Timeline, nur dass diese chronologisch ist und es keine Algorithmen gibt, die einem vorschreiben, was man zu sehen bekommt. In zweiten Timeline sieht man die Beiträge, die alle Nutzer, die auf dieser Instanz angemeldet sind, verfasst oder geteilt haben. Je nach dem, wie viele Nutzer auf einer Instanz aktiv sind, können das wenig, aber auch sehr viele Beiträge sein. Das wäre aber recht wenig und auch in sich geschlossen, also nicht viel anders, als Twitter. Wie schon erwähnt, können diese Instanzen aber auch untereinander kommunizieren. In der dritten Timeline sehe ich die Beiträge fast aller Instanzen. Das bedeutet, dass ich nicht auf die Nutzer „meiner“ Instanz beschränkt bin, sondern mich auch mit den Nutzern fast aller anderen Instanzen vernetzen kann. Warum nur fast? Nun, jeder, der will, kann so eine Instanz betreiben. Es gibt keine zentrale Stelle, die bestimmt wer eine Instanz betreibt oder welche Themen dort behandelt werden oder welche Regeln es dort gibt. Die Aussage, dass Mastodon ein Twitter ohne Nazis ist, kann also falsch sein, denn auch Nazis können so eine Instanz betreiben. Wo ist also da der Vorteil? Ganz einfach, der Betreiber einer jeden Instanz kann andere Instanzen komplett blocken. Das bedeutet, die Beiträge dieser Instanzen tauchen bei mir nirgendwo auf. Innerhalb einer Instanz stellen die Betreiber die Regeln auf und setze diese auch durch. Wenn mir also die Regeln einer Instanz nicht gefallen, oder dort Themen besprochen werden, die mich nicht interessieren oder mir nicht gefallen, dann kann ich mich einfach bei einer anderen Instanz registrieren und bleibe Teil des Netzwerks. Leider kann man derzeit bei einem solchen Umzug seine Beiträge nicht „mitnehmen“, aber daran wird bereits gearbeitet.
Natürlich muss man sich auch hier die Frage stellen, wie sich Mastodon finanziert. Die Instanzen, die mir bekannt sind, werden alle von Enthusiasten betrieben und durch Spenden betrieben. Man muss also nichts zahlen, aber es wäre nett, wenn man ab und an ein paar Euro erübrigen kann, schließlich zahlt man nicht mit seinen Daten und seiner Aufmerksamkeit. Es gibt keine Tracker und auch keine geschaltete Werbung. Natürlich können Nutzer Werbung posten, aber je nach Regeln der Instanz wird das auch unterbunden.

Natürlich kann man dieses Blocken von Instanzen kritisch sehen, denn so entstehen wieder Filterblasen und Echokammern. Meinungsfreiheit ist ein teures und wichtiges Gut. Aber Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass man auch die Meinung eines jeden konsumieren muss. Wie gesagt, wenn einem zu viel geblockt wird, sucht man sich eine andere Instanz, die da weniger restriktiv ist. Ich persönlich halte die Meinungsfreiheit bei Twitter aber auch als Ausrede. Wie gesagt, Twitter und Facebook profitieren davon, wenn man möglichst lange und oft diese Dienste nutzt. Auch wenn sich das paradox anhört, Hass hilft dabei. Dort werden erbitterte ideologische Grabenkämpfe ausgetragen, die am Ende zu nichts führen. Wir gegen die, die gegen uns, wie alle gegen noch andere, usw. Angst und Hass sind sehr starke weil emotionale Triebfedern. Mittlerweile muss man sagen sind Facebook und Twitter asoziale Medien. Gruppen und einzelne Menschen werden dort regelrecht fertig gemacht.

Dagegen fühlt sich Mastodon für mich an, wie lockere Gespräche mit Freunden in der Küche bei einem Bierchen. Dort muss ich mir auch nicht jedermanns Meinung anhören. Mastodon ist für Werbetreibende, Influencer, Politiker, Journalisten und Selbstdarsteller und alle, die Twitter wie ein Megaphon nutzen und so Aufmerksamkeit generieren, unattraktiv. Daher auch deren negative Äußerungen über Mastodon. Man will ja seine Follower schließlich zu Geld machen. Manch einer rümpft da die Nase, aber es ist kaum möglich dort irgendeine Marke aufzubauen oder Marketingstrategien zu fahren. Wer das will, ist bei Twitter besser aufgehoben. Für Manche ist das ein großer Nachteil, ich feiere Mastodon dafür. Das mag der eine oder andere anders sehen, aber ich persönlich möchte gar nicht, dass alle oder viele Twitter-Nutzer zu Mastodon kommen. Ich möchte nicht, dass Mastodon wie Twitter wird. Es ist eben kein Ersatz dafür. Es gibt auch viele, die aus Erfahrung behaupten, dass Mastodon genau so untergehen wird, wie andere Alternativen vorher. Das mag sein, das weiß ich nicht. Man schaue sich aber mal an, wie oft die Email schon für tot erklärt wurde. Dieser dezentrale Ansatz ist eben etwas anderes. Mastodon ist auch nicht neu, es gibt es schon seit 2016. Und wenn man mal genau ist, ist Mastodon nur eine Ausprägung eines technischen Protokolls. Es gibt andere Dienste, die dieses Protokoll nutzen. Es gibt Alternativen für Facebook, Instagram, Youtube usw. Und das Coole ist, dank dieses Protokolls können die alle miteinander kommunizieren (nennt man Fediverse oder Fediversum) und es können auch neue andere Dienste entstehen. Und keiner dieser Dienste gehört jemandem, schon gar nicht irgendwelchen gesichtslosen Konzernen.
Es geht dabei gar nicht darum Twitter zu stürzen und den Markt zu dominieren (was theoretisch passieren könnte), sondern um eine Alternative bei der man sich nicht mit allem abfinden muss. Es gibt ja auch viele Nutzer, die beides nutzen (so wie ich).

Natürlich gibt es auch einige Nachteile. Wie bei Twitter auch. Nichts ist perfekt. Die Benutzeroberfläche ist gewöhnungsbedürftig. Es gibt manche Funktionen nicht, andere funktionieren anders, als man es gewohnt ist. Die Apps für Smartphones sind vielleicht auch noch nicht so weit, wie ihre Twitter-Entsprechungen. Zum Einen liegt das daran, dass da kein Multimilliarden-Konzern mit entsprechenden Ressourcen dahinter steckt, zum anderen ist der Dienst ja auch noch relativ jung. Also gib dem Ganzen etwas Zeit und eine echte Chance. Man kann sich direkt an die Entwickler wenden, und so Fehler aber auch Verbesserungsvorschläge melden. Da Mastodon Opensource ist, kann sogar jeder, der will und kann den Code als Basis nehmen und ihn für seine Zwecke umschreiben und nutzen. Es gibt aber auch Funktionen, die bewusst nicht nachgebaut werden. Am Anfang war ich sehr irritiert, dass man bei Retweets (bei Mastodon Boosts genannt) nicht kommentieren kann. Das ist so gewollt. Warum? Bei Twitter hat sich gezeigt, dass diese Funktion Diskussionen vergiften kann. Mit dieser Funktion kann man einzelne Beiträge aus dem Zusammenhang reißen und Menschen damit vorführen, statt direkt mit ihnen zu kommunizieren.

Es kann leider auch passieren, dass einzelne Instanzen komplett verschwinden. Dafür haben die Betreiber ihre Gründe, auch wenn man die blöd findet. Ganz blöd ist es, wenn das ohne Vorwarnung passiert. Die Wahl einer Instanz ist nicht einfach. Viele gehen auf die bekannteste und momentan auch wohl größte Instanz. Das empfehle ich aber nicht. Zum einen ist die Timeline dieser Instanz ziemlich voll, zum anderen kann die Instanz an ihre technischen Grenzen stoßen, wenn viele Benutzer aktiv sind. Ich empfehle kleinere, aber nicht zu kleine Instanzen. Am besten regionale, also wenn man z.B. in Köln wohnt, kann man sich eine Instanz aus dieser Region suchen (sofern es eine gibt). Dort ist die Chance groß andere Nutzer aus der Gegend anzutreffen und dennoch kann man mit den Benutzern (fast) aller anderen Instanzen kommunizieren.
Auch der Datenschutz ist so eine Sache. Im Prinzip vertraut man seine Beiträge dem Betreiber an, es gehört also Vertrauen dazu. Aber ist das bei Twitter anders? Twitter wird in den USA betrieben. Weißt Du, wem die alles deine Daten geben oder verkaufen (und das tun die)? Die Betreiber deutscher Instanzen müssen sich zumindest an das Deutsche Recht halten. Außerdem sollte jedem auch klar sein, dass man egal wo im Internet keine Dinge verbreitet, die man nicht in der Öffentlichkeit haben will.

Ich will nicht auf alle Funktionen eingehen, nicht alle Begriffe erklären. Dazu gibt es im Netz schon genug Seiten und dieser Text ist auch schon zu lang. Klar ist das alles am Anfang ungewohnt. Das war Twitter am Anfang aber auch (siehe Anfang dieses Textes). Informiert euch, probiert es aus, und wenn es euch gefällt, dann bleibt. Aber bleibt flauschig und macht diese Alternative nicht zu einem zweiten Twitter.
Ich habe für mich eine nette Community gefunden und es ist (zumindest derzeit) ein wirklich soziales Netzwerk, dass ich gerne nutze. Ja, ich bin noch auf Facebook und auf Twitter, aber ich nutze diese anders, wenn überhaupt noch.
Es macht in meinen Augen keinen Sinn, sich ständig über Twitter zu ärgern, und auf Besserung zu hoffen. Gelegenheit dazu hatte Twitter schon oft. Statt vergeblich auf Twitters Änderung zu warten, ändere doch dich bzw. dein Verhalten und probier etwas anderes. Mastodon ist eine Möglichkeit (von vielen) dafür.

8 Gedanken zu “Mastodon ist kein Twitter-Ersatz

  1. Ich glaube, dass all die „Influencer“, die sich um das „Aufbauen einer Marke“ Gedanken machen, das riesige Potential von Mastodon lediglich (bisher glücklicherweise) falsch interpretieren. Die Reichweite eines gut platzierten Beitrages auf Mastodon kann bei eutlich weniger Followern als auf Twitter durchaus um Größenordnungen höher liegen als bei Twitter.

    Ich will jetzt nicht mit der zugehörigen Mathematik langweilen, aber im Ergebnis wird ein Beitrag auf Twitter ja nur ein einziges Mal zentral „ausgespielt“ und „versendet“ sich u.U. sehr schnell.

    Auf Mastodon hingegen wird ein einzelner Beitrag durch Replikation der Fed auf die Server der einzelnen Instanzen mehrfach in wesentlich kleinerer Entropie ( Störungsumfeld – in der Fed einer Instanz erscheinen ja nur Beiträge der User, denen mindestens eine Person der jeweiligen Instanz folgt) ausgespielt (so lange der ursprüngliche Poster auch nur einen einzigen Follower auf der jeweiligen anderen Instanz hat – der schlimmstenfalls ja ein Zweitaccount des Influencers selbst sein könnte ;-). Und damit deute ich eine der Möglichkeiten auf Mastodon mit wenigen Followern deutlich höhere Recihweiten als auf Twitter zu erzielen nur mal vorsichtig an. Von Bots oder extra geschriebenen Tools (die ja auf Twitter seit jeder durch die sehr restriktive API-Policy eingeschränkt waren und in Zukunft – 10.9.19 – noch weiter eingeschränkt werden) will ich noch gar nicht reden

    Ich denke wir sollte entsprechend froh sein, dass die Lautsprecher von Twitter diesen Effekt weder jemals für sich selbst vernünftig berechnet haben, noch ihn bisher zu nutzen wissen.

  2. Aufgrund der vielen Skandale und Irritationen habe ich schon vor längerer Zeit meine Konten bei fb und Twitter gelöscht. Für mich und meinen Blog war das ein überfälliger Schritt. 🙂
    LG Alexander

    • Ich behalte die vorerst noch. Wobei, wenn Twitter tatsächlich die API und damit die Drittanbieter-Apps sperrt, dann werde ich vermutlich auch da kaum noch was machen.

  3. Pingback: Was Du als Twitterer über Mastodon wissen solltest | Ein Blog ihrer FavStarMafia

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